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ehem. PRORA-ZENTRUM

Die Geschichte(n) Proras entdecken

Der historische Ort Prora

Die Prorer Wiek gilt als eine der schönsten Buchten der Insel Rügen. Abseits von Strand und Meer gibt es aber in Prora noch viel mehr zu entdecken: Ein Gebäudekomplex mit einer Länge von 4,5 Kilometern erstreckt sich parallel zur Küste zwischen dem Hafen Mukran und dem Ostseebad Binz. Das monumentale Ausmaß der Gebäudeanlage wirft für BesucherInnen auch heute noch Fragen auf: Wann und warum ist die Anlage entstanden? Wie wurde sie genutzt? Was wird heute aus dem Komplex?

Planungen für das „Seebad der 20.000“

Die Entstehung der Anlage datiert in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Mit der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten den Umbau der Weimarer Republik in eine Diktatur. Eine der Strategien, Menschen für das nationalsozialistische System einzunehmen, waren vermeintliche soziale Wohltaten wie sie etwa die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) liefern sollte. Als Teil der Massenorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) sollte KdF die Freizeit der Mitglieder der so genannten „deutschen Volksgemeinschaft“ gestalten. Juden, Sinti und Roma, psychisch kranke und geistig behinderte Menschen, politisch Andersdenkende, Zeugen Jehova und viele mehr, die nach der NS-Ideologie nicht zur „deutschen Volksgemeinschaft“ gehörten, waren von den Angeboten der „Kraft durch Freude“-Organisation grundsätzlich ausgeschlossen.
Insbesondere die von KdF angebotenen Seereisen erlangten große Aufmerksamkeit in einer Zeit, als Urlaub nicht selbstverständlich war. Zusätzlich kündigten die Nationalsozialisten an, fünf riesige Seebäder an der deutschen Ostseeküste bauen zu wollen – die Anlage in Prora ist der unvollendete Prototyp dieses Vorhabens.

Unter dem Namen „Kraft-durch-Freude-Seebad-Rügen“ entwarf der Architekt Clemens Klotz 1936 im Rahmen eines Architektur-Wettbewerbs eine Urlaubsanlage für 20.000 Menschen, von der heute noch sieben der ursprünglich acht Bettenhäuser (heute Blöcke genannt) existieren. Der Entwurf von Klotz umfasste weit mehr als nur die Bettenhäuser. So waren unter anderem Reichsarbeitssiedlungen, Angestelltenhäuser, Schwimmbäder, eine Gärtnerei, eine Bäckerei und vieles mehr geplant. Die Grundsteinlegung für die Anlage fand am 2. Mai 1936 statt. Zwei Siedlungen für den Reichsarbeitsdienst und zwei Angestelltenhäuser wurden noch vor dem Bau der Bettenhäuser fertig gestellt. Bis zum Einmarsch deutscher Truppen in Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 konnte nur ein Teil der geplanten Anlage realisiert werden, die acht Bettenhäuser waren über den Rohbauzustand nicht hinausgekommen. Der Kriegsbeginn markierte den abrupten Baustopp in Prora, Menschen und Material wurden zu kriegswichtigen Bauprojekten abgezogen. Im gefeierten Prestigeprojekt der Propaganda, dem so genannten „Seebad der 20.000“, fand in der NS-Zeit kein einziger Urlauber Erholung.

Nutzung während des Zweiten Weltkrieges

Bereits ab November 1939 mussten polnische Kriegsgefangene auf der Baustelle in Prora Aufräumarbeiten vornehmen, anschließend hatten sie Wartungsaufgaben durchzuführen. Sie waren in Baracken auf dem Baustellengelände untergebracht.
Ab Sommer 1943 wurden Hunderte sowjetische ZwangsarbeiterInnen für schwere Bauarbeiten im Süden der Anlage eingesetzt. Sie hatten provisorische Unterkünfte für Ausgebombte aus Hamburg und gegen Kriegsende für Flüchtlinge aus den Ostgebieten des damaligen Deutschen Reiches zu schaffen. Auch ein Lazarett hatten die ZwangsarbeiterInnen unter äußerst schlechten Lebensbedingungen und minimaler Ernährung zu bauen.

Parallel dazu gab es ab Anfang 1940 auch eine Nutzung Proras als militärischen Ausbildungsort. In den beiden fertig gestellten Reichsarbeitsdienst-Siedlungen und einigen Baracken erhielten mehrere Polizeibataillone ihre Grundausbildung. Polizeibataillone, die Ordnungspolizei im auswärtigen Einsatz, wurden im Zweiten Weltkrieg hinter der Front eingesetzt. Sie deportierten Juden in Konzentrationslager und waren darüber hinaus auch an massiven Kriegsverbrechen (unter anderem im Baltikum) beteiligt.
Ab 1942/43 wurden die Reichsarbeitsdienst-Siedlungen zum Ausbildungsstandort für Marine-Nachrichtenhelferinnen, die bis zum Kriegsende in Prora ihre 4- bis 6-wöchige Grundausbildung erhielten.

Von der geplanten Urlaubsanlage zum militärischen Sperrgebiet

Nachdem die Rote Armee die Insel Rügen 1945 besetzte und sie Teil der Sowjetischen Besatzungszone war, wurde die Großbaustelle zum Materiallager. Der südlichste Block der Anlage wurde in dieser Zeit abgerissen. Der beginnende Kalte Krieg und die Aufrüstung in Ost und West machten Prora schließlich für einen getarnten Aufbau eines neuen ostdeutschen Militärs interessant.
Nach Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Oktober 1949 wurden ab 1952 fünf der sieben Blöcke durch Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und zivile Baufirmen ausgebaut. In den südlichsten Block zog bereits in den 1950er Jahren ein Ferienheim für Militärangehörige und deren Familien. In den anderen vier Blöcken entstand eine große Kaserne, die ab 1956 durch Landstreitkräfte der neu gegründeten Nationalen Volksarmee (NVA) genutzt wurde. 10.000 bis 12.000 Soldaten waren an diesem Standort stationiert.
Zusätzlich zum Gelände des geplanten Seebades beschlagnahmte das Militär 1953 ein großes Areal rund um die Anlage zwischen Kleinem Jasmunder Bodden und Ostsee,

das zukünftig als Truppenübungsgelände genutzt wurde und damit für die Zivilbevölkerung weitgehend unzugänglich war.
Ab Ende der 1960er Jahre wurde Prora schrittweise zum Ausbildungsstandort umgebaut, die operativen Einheiten der Landstreitkräfte verließen den Standort nach und nach. Mit der Technischen Unteroffiziersschule (TUS), später Militärtechnische Schule (MTS) und der Offiziershochschule Otto Winzer, an der ab 1980 ausländische Soldaten zu Offizieren ausgebildet wurden, entstanden zwei große Ausbildungseinrichtungen.
Im Block 5, dem nördlichsten der ausgebauten Blöcke, waren bis 1982 Fallschirmjäger stationiert. Diese nutzten die beiden nördlichsten Rohbaublöcke (Block 6 und 7) als Truppenübungsgelände.

Erinnerungsort der Waffendienstverweigerer

Nach dem Abzug der Fallschirmjäger 1982 wurden mehrere hundert Bausoldaten – die Waffendienstverweigerer der DDR – in Block 5 stationiert.

Ab 1964 gab es in der DDR die Möglichkeit als Wehrpflichtiger einen waffenlosen Dienst innerhalb des Militärs abzuleisten, den Bausoldatendienst. Dieser Dienst entsprach aber nicht dem von den Waffendienstverweigerern geforderten zivilen Ersatzdienst, wie es ihn in der Bundesrepublik gab. Der DDR-Führung waren die Waffendienstverweigerer ein Dorn im Auge. Die Sozialistische Einheitspartei (SED) sah in den Bausoldaten pauschal Staatsfeinde, weil sie den „Frieden und Sozialismus“ der DDR nicht verteidigen wollten. Viele Bausoldaten verweigerten aus religiösen Gründen den Waffendienst, andere hatten pazifistische oder politische Gründe.

Insgesamt haben in der DDR zwischen 1964 und 1989 etwa 15.000 bis 17.000 junge Männer den Bausoldatendienst absolviert, das entspricht etwa einem Prozent eines Jahrgangs. Die Entscheidung zur Waffendienstverweigerung brachte häufig Konsequenzen für das weitere Leben mit sich, berufliche Karrieremöglichkeiten waren zumeist stark beschnitten.

Die Bausoldaten in Prora wurden ab 1982 vor allem beim Bau des Hafens Mukran eingesetzt, wo sie häufig schwere körperliche Arbeiten verrichten mussten. Viele Bausoldaten engagierten sich insbesondere in der Friedensbewegung. Damit hatten sie eine wichtige Rolle in der DDR-Opposition und waren am Erfolg der Friedlichen Revolution 1989/90 beteiligt. Vielfach blieben die Netzwerke, die sich während der Wehrdienstzeit gebildet hatten, auch später bestehen.

Die Geschichte der Bausoldaten hat das PRORA-ZENTRUM in seiner Dauerausstellung „Opposition und Widerstand – Bausoldaten in Prora 1964-1989/90“ dokumentiert. Aus der Zusammenarbeit mit dem Förderkreis Bausoldaten Prora e.V. sowie mit anderen Gruppen ehemaliger Proraer Bausoldaten sind bereits drei „Zeitsplitter“ im Rahmen einer noch weiter auszubauenden Außenausstellung des PRORA-ZENTRUMs entstanden, die an die Waffendienstverweigerer und ihr Engagement erinnern und über den Militärstandort Prora aufklären.

Prora saniert sich

Nach dem Einigungsvertrag der beiden deutschen Staaten am 3. Okober 1990 übernahm die Bundeswehr den Standort. 1992 wurde der Militärstandort aufgelöst und an das Bundesvermögensamt übergeben, das nun für die Verwaltung der Anlage zuständig war. Am 12. Oktober 1992 wurde die gesamte Anlage inklusive der Ruinen unter Denkmalschutz gestellt. Der Abriss der Gebäudeanlage war damit abgewendet, die Frage der weiteren Nutzung blieb aber vorerst unbeantwortet. Teile der Gebäudeanlage erfuhren Zwischennutzungen, häufig zu kulturellen oder touristischen Zwecken. Im Norden standen die Blöcke lange Zeit leer. 1996 gab das Bundesfinanzministerium eine Bedarfs- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für Prora in Auftrag, die 1997 als Entwicklungskonzept „Prora für Rügen“ vorlag. Diese so genannte „S.T.E.R.N.-Studie“ der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung aus Berlin wurde allerdings nie umgesetzt. Stattdessen verkaufte das Bundesvermögensamt ab 2003 die Blöcke einzeln an private Investoren. Der Block 5 wurde 2006 vom damaligen Landkreis Rügen erworben.
2007/08 eröffnete im Norden beim Block 5 der Jugendzeltplatz Prora, anschließend wurde der nördliche Teil des Blockes zur Jugendherberge Prora saniert. Im Jahr 2008 zog das PRORA-ZENTRUM in einen unsanierten Raum des Blockes 5, um den Gästen des Jugendzeltplatzes und später denen der Jugendherberge die Geschichte des historischen Ortes Prora zu vermitteln.

Seit der Eröffnung der Jugendherberge 2011 erfreuen sich die Jugendherberge Prora und der dazugehörige Jugendzeltplatz großer Beliebtheit. Von Beginn an ist die Jugendherberge mit Zeltplatz ein wichtiger Kooperationspartner des PRORA-ZENTRUMs. Der seit 2011 neue Großkreis Vorpommern-Rügen entschied im Jahr 2016, den Block 5 ebenfalls an private Investoren zu veräußern. Die Jugendherberge Prora wird weiterhin im Gebäude bleiben, auch ist vom Landkreis zugesagt worden, dass im Anschluss an die Jugendherberge das schon lange geplante Bildungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte Proras saniert werden soll.
Nach der Eröffnung der Jugendherberge Prora wurden auch die privaten Besitzer der übrigen Blöcke aktiv. Inzwischen sind alle Blöcke verkauft und werden umfassend saniert. Große Teile der Anlage werden zu Luxus-Eigentumswohnungen und Hotels umgebaut, lediglich der Block 5 ist derzeit noch in seiner äußeren Form als Prora-Block zu erkennen. Proras Geschichte wird mit der Sanierung um ein weiteres Kapitel ergänzt, der historische Ort aber droht zu verschwinden.

Dauerausstellungen

Opposition und Widerstand – Bausoldaten in Prora 1964-1989/90
Diese Ausstellung wird ab dem Jahr 2025 im Dokumentationszentrum Prora gezeigt.

Die Ausstellung erzählt die Geschichte der Bausoldaten, der Waffendienstverweigerer der DDR, die als Teil der Nationalen Volksarmee (NVA) in der Zeit von 1964-1989/90 in Prora stationiert waren. Ab 1982 entwickelte sich Prora zum größten Bausoldatenstandort der DDR. In der Ausstellung stehen neben Fotos, Texten, Blätterbuch, Karteikasten und Exponaten auch Hör- und Videosequenzen aus Interviews mit ehemaligen Bausoldaten zur Verfügung. Die im Jahr 2013/14 vom PRORA-ZENTRUM erarbeitete Präsentation basiert auf den Forschungserkenntnissen des Vereins. In mehreren Forschungs- und Interviewprojekten wurde hierfür mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR die Geschichte der Bausoldaten am Standort Prora untersucht.

Fotos: Der Arrestzellenbereich des Gebäudes Fünfte Str. 6, Prora (ehemaliger Kontrolldurchlass der Nationalen Volksarmee der DDR), in dem sich das PRORA-ZENTRUM bis 2024 mit seinen Ausstellungen befand. Archiv PRORA-ZENTRUM

Außenausstellung

Unter dem Namen „Zeitsplitter“ arbeitetete das PRORA-ZENTRUM in Kooperation mit dem Förderkreis Bausoldaten Prora e.V. seit dem Jahr 2014 an einer Außenausstellung. „Zeitsplitter“ sind markante Punkte auf dem Gelände in Prora, die an die militärische Nutzung der Anlage zu DDR-Zeiten erinnern sollen.
Diese „Zeitsplitter“ sind weiterhin gegenüber Block V bei der Jugendherberge zu besichtigen.

Zeitsplitter 1: Die Arrestzelle

Die Stele für den ersten Zeitsplitter befindet sich an der Zufahrtsschranke zum Gelände der Jugendherberge. Zu DDR-Zeiten war dieses Gebäude der so genannte Kontrolldurchlass (KDL), in dem sich auch mehrere Arrestzellen befanden. Die Stele erläutert den Militärstrafvollzug, ein Sichtfenster im Gebäude gewährt den Blick in eine im Original erhaltene Arrestzelle.

Fotos: Der Arrestzellenbereich des Gebäudes Fünfte Str. 6, Prora (ehemaliger Kontrolldurchlass der Nationalen Volksarmee der DDR), in dem sich das PRORA-ZENTRUM bis 2024 mit seinen Ausstellungen befand. Archiv PRORA-ZENTRUM

Zeitsplitter 2: Die Erläuterungstafel an der heutigen Mehrzweckhalle

An der ehemaligen Sporthalle von Block 5 (heute Mehrzweckhalle der Jugendherberge Prora) wurde 2014 eine Tafel angebracht, die eine bereits seit 2010 vorhandene Gedenktafel des früheren Vereins DenkMal Prora ergänzt und auf die Geschichte der Bausoldaten in Prora hinweist. Beide Tafeln erinnern daran, dass in den 1980er Jahren in der Halle von den Bausoldaten das Gelöbnis gesprochen werden musste, die dieses anstelle des für NVA-Soldaten üblichen Fahneneides zu leisten hatten.

Zeitsplitter 3: Erinnerungstafel an der Winterlinde

Auf der Grünfläche neben dem ehemaligen Kontrolldurchlass (KDL) zum Militärgelände in Prora pflanzte im Oktober 2016 eine Gruppe ehemaliger Bausoldaten der 1. Baukompanie von 1985/86 einen Baum zur Erinnerung an alle in Prora stationierten Bausoldaten.